Reizüberflutung
Ein Thema, das nahezu jeden Menschen einmal betrifft – und Menschen mit Demenz in besonderer Weise. Denn für sie ist schnell alles «zu viel». Ein Überblick mit Tipps, wie man Demenzkranke vor zu vielen Reizen schützt.
Fünf Sinne hat der Mensch. Auf jeden strömen im Minuten-, im Sekundentakt Eindrücke herein: Da sind Geräusche und Geklapper im Hintergrund, während man sich auf eine Aufgabe konzentriert. Der Geruch von Kaffee kommt aus der Küche. Sonnenlicht gleisst durchs Fenster, es blendet vielleicht. Das Polster des Stuhls drückt in den Rücken. Ein metallischer Geschmack liegt auf der Zunge, woher kommt der bloss?
Unruhe, erhöhter Puls, Kopfschmerzen
Das Wort «Reizüberflutung» beschreibt einen Zustand, in dem ein Mensch mit seinen Sinnen so viele Eindrücke aufnimmt, dass sie oder er diese nicht mehr verarbeiten kann und dadurch überfordert ist. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.
Kurzfristig treten Stress-Symptome auf, zum Beispiel innere Unruhe, erhöhter Puls, leichte Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen. Chronische Reizüberflutung kann wie chronischer Stress die Psyche schwer belasten, psychische Störungen können die Folge sein.
Ein gesunder Mensch kann eine Menge Reize parallel verarbeiten. Einem demenziell Erkrankten ist das nicht so ohne weiteres möglich. Ist man krank, steigt das Stressempfinden, man wird schutzbedürftiger, sucht verstärkt nach Rückzugs- und Wohlfühlräumen und wird empfindlicher gegenüber Licht, Lärm, Gerüchen, Temperatur, Farben und Formen.
Die Toleranzgrenze gegenüber Sinnesreizen sinkt mit dem Nachlassen der geistigen Fähigkeiten. Besonders niedrig ist diese Toleranzgrenze bei einer Agnosie: Hierbei handelt es sich um ein neuropsychologisches Symptom, wodurch die Informationsverarbeitung im Gehirn nicht mehr richtig funktioniert. Menschen mit Agnosie können Sinnesreize nicht mehr richtig verstehen und zuordnen.
Aus all diesen Gründen benötigen Menschen mit Demenz regelmässige Verschnaufpausen und Rückzugsräume, um die gesammelten Eindrücke, Worte und Stimmungen zu verarbeiten.
Menschen mit Demenz vor Reizüberflutung schützen – so geht´s:
- Lärm minimieren: Zu viel Lärm, so zeigten Pflegeheim-Studien, machen die Bewohner aggressiv und regen sie zum Herumwandern an. Viele Demenzkranke sind geräuschempfindlich. Helfen können schallisolierte Decken, Wände, Böden und Türen.
- Klare Trennung von Farben und Formen: Mit fortschreitender Erkrankung fällt es Demenzkranken immer schwerer, Formen und Farben auseinanderzuhalten. Schwarze Fernseher werden schwarze Löcher, bunte Teppichmuster zu Blumenwiesen. Wichtig ist daher, kontrastreich zu gestalten, damit sich Gegenstände besser von Oberflächen abheben, Wände von Böden, Möbel von Böden. Auch unruhige Muster (etwa auf Sofas oder Tapeten) machen Stress, denn sie werden als Unebenheiten wahrgenommen. Die Räume, in denen sich Demenzkranke aufhalten, sollten die Orientierung unterstützen und den Betroffenen geistig anregen, aber Reizüberflutung vermeiden.
- Mit positiven Erinnerungen den Geist beruhigen: Gemeinsames Kochen und Essen mit Düften von Apfelkuchen oder gegrillten Würstchen kann angenehme Erinnerungen an die Kindheit wecken und Wohlbefinden auslösen. Demenzkranke erinnern sich noch lange an Gerüche von früher, obwohl oft schon zu Beginn der Krankheit der Geruchs- und Geschmackssinn nachlässt.
- Reduzieren Sie auf das Wesentliche. Weg mit allem, das nicht wirklich emotional oder praktisch gebraucht wird. Alles, was bleibt, sollte gut sichtbar sein und dem dualen Anspruch gerecht werden – also dem Wunsch nach Abstand oder Nähe, Farbigkeit oder Neutralität, Wärme oder Kälte. Einen grossen Effekt haben Veränderungen, die der Betroffene nicht wahrnimmt, zum Beispiel einen Teppich als Stolperfalle beseitigen. In der CD-Sammlung sollte eine Palette von heiterer bis besinnlicher Lieblingsmusik vorhanden sein. Im Schrank könnte man Glas einbauen, damit man sieht, was drin ist. Menschen mit Demenz verhalten sich instinktiv für sich richtig, wenn man ihnen eine Auswahl lässt.
- Türen unauffällig gestalten: Vor allem bei fortgeschrittener Demenz verstehen Demenzkranke nicht mehr, warum sie gegen ihren Willen an einem Ort festgehalten werden – auch in ihrem eigenen Zuhause nicht. Viele Betroffene wollen in ihrem Bewegungsdrang einfach nur raus. Türen, durch die vor allem Menschen mit schwerer Demenz nicht alleine durchgehen, sollten deshalb möglichst unauffällig sein: Etwa indem man sie in der gleichen Farbe wie die Wand streicht oder ein Fenster darauf malt, einen Spiegel daran hängt oder einen Vorhang davor hängt.
- Erinnerungshilfen schaffen Wohlbefinden: Hier ist Biografiearbeit gefragt: Welche positiven Erinnerungen erzählt ein Mensch mit Demenz gerne? Was lässt sich daraus in die Gegenwart übertragen? Das können auch bestimmte Materialien sein, etwa Stroh, Backstein oder Holz, die man in Wandelemente oder als Möbelstück einbauen kann. Streicht der Demenzkranke darüber, kann das beruhigend wirken.
Noch ein Tipp für Angehörige:
Nicht nur Demenzkranke, sondern auch ihre Angehörigen sollten sich vor Reizüberflutung schützen. Das Zauberwort dabei heisst «Selbstfürsorge». Das können regelmässige Spaziergänge in der Natur sein oder Besuche an Orten, an denen man Energie auftanken kann. Gut durch Studien belegt ist die Wirkung von Meditation – zum Beispiel MBSR oder Vipanassa Meditation – auf die Ruhe im Geist.
➔ Einen leicht lesbaren Überblick und wirksame Tipps gibt es hier
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