Wahrnehmungs-Störungen

Bei einer gestörten Wahrnehmung läuft die Verarbeitung der Sinneseindrücke nicht richtig ab. Oft sind dies die ersten Symptome einer Demenz.

Mit all unseren Sinnen nehmen wir Reize und Eindrücke auf und verarbeiten sie zu einem Gesamteindruck – individuell, weil bei jedem Menschen noch die eigenen Erfahrungen dazukommen. Die ankommenden Informationen von den Sinnesorganen im Gehirn auswählen, ordnen und interpretieren, mit vorherigen Erfahrungen abgleichen und bewerten: Diesen komplexen Prozess nennen wir Wahrnehmung (Perzeption). Durch die Wahrnehmung orientieren wir uns in unserer Umwelt.

Ein wichtiger Parameter der Wahrnehmung ist die Aufmerksamkeit. Wir können uns auf ein Merkmal konzentrieren, das wir bewusst festlegen. Am Steuer eines Autos richten wir die Aufmerksamkeit beispielsweise auf den Verkehr. Ständig empfangen unsere Sinne enorme Mengen an Information aus unserer Umwelt. Das Gehirn koordiniert diese Infos so, dass nur die benötigten in das Bewusstsein gelangen. 

Aus der Hirnforschung weiss man, dass unsere Sinne Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen das menschliche Gehirn in jeder Sekunde mit rund elf Millionen Bits Informationen versorgen. Das entspricht rund 1,4 Megabyte. Im gleichen Zeitraum verarbeitet unser Bewusstsein aber nur 40 bis 50 Bits. Der Rest wandert ins Unterbewusstsein. Unbedeutende Reize werden also aussortiert und gelangen gar nicht erst zur Verarbeitung ins Gehirn. Unsere Wahrnehmung wird von der Interessenlage gelenkt und geprägt, wir selbst setzen Schwerpunkte und verarbeiten nur relevante Reize.

Optische Täuschungen haben alle Menschen

Was nehmen wir wahr? Wir sehen eine krumme Linie, die eigentlich gerade ist. Wir sehen auch dunkle Flecken, wo keine sind. Wir sehen Farben auf einem Schwarz-Weiss-Foto oder Grün, wo eigentlich Lila wäre. Sehen Sie sich das Video an!

Quelle Top Zehn/YouTube

Beim Thema Wahrnehmungstörung denkt man vielleicht an Sehschwächen. Die Störung der Verarbeitung lässt sich aber auch provozieren: Lesen Sie beispielsweise die Farben in der Tabelle Zeile für Zeile laut vor (NICHT die Wörter, sondern die Farben nennen, in denen die Wörter geschrieben sind): 

Kommen Sie ins Stottern? Das ist normal, weil es zu einer Sinnesüberreizung und einem Widerspruch der Hirnaktivitäten kommt. Das Lesen einfacher Wörter wie rot, grün, gelb und blau ist ein automatischer Akt, den man kaum unterdrücken kann. Das Erkennen und Nennen der Farben erfordert unsere willentliche Konzentration. Beide Aktivitäten arbeiten nun gegeneinander. Das verursacht eine kurzfristige Wahrnehmungsstörung.

Realität

Menschen mit Demenz haben andere Wahrnehmungen und leben in einer eigenen Realität. Wir sollten empathisch sein und uns auf ihre … weiterlesen

Wahrnehmungsstörungen bei Menschen mit Demenz

Menschen, die schlecht hören oder schlecht sehen, haben geschwächte Sinnesorgane. Die Störungen lassen sich meist durch Hilfsmittel wie Brillen oder Hörgeräte kompensieren. Bei Menschen mit Demenz funktionieren zwar die Sinnesorgane und Reize werden empfangen –das Ohr hört, die Nase riecht und die Augen sehen, doch die Verarbeitung dieser Eindrücke ist gestört.

Die Wahrnehmung des Gesehenen oder Gehörten gelingt nicht; die Sinnesreize können nicht immer ins Bewusstsein vordringen. Wenn sich die Wahrnehmung der Umwelt im Verlauf der Erkrankung bei Betroffenen verändert, stimmt sie nicht mehr überein mit der Wahrnehmung der Menschen in deren Umfeld. Ein Beispiel: Hinzu kommt: Menschen mit Demenz können Sinnesreize nicht mehr in «wichtig» und «unwichtig» unterteilen. Sie haben meist grosse Probleme, auf gleichzeitig auftretende Reize zu reagieren, sind schnell abgelenkt und vergessen, was sie gerade begonnen haben.

Halluzinationen

Menschen mit Demenz verlieren zeitweilig den Bezug zu (unserer) Realität. Der Umgang damit erfordert Verständnis und Empathie. weiterlesen

Wahrnehmungen werden bei gesunden Menschen mit gespeicherten Gedächtnisinhalten verglichen. Bei Menschen mit Demenz geht aber das Gedächtnis verloren, und immer weniger Inhalte können genutzt werden. Dann kommt es darauf an zu orten, was verloren und was noch da ist. 

Empathisch sein statt Menschen mit Demenz korrigieren

Deshalb kann es passieren, dass ein Mensch mit Demenz beispielsweise nicht mehr die Zähne putzen, aber ein altbekanntes Volkslied singen kann. Oder dass er das aktuelle Datum nicht kennt, aber sein Instrument noch beherrscht. Ist die Wahrnehmung gestört oder stehen nur noch begrenzte Gedächtnisinhalte zur Verfügung, kommt es zu Handlungen oder Reaktionen, die anderen Personen unverständlich sind. Ein Beispiel:

Blumen und unsichtbare Gäste

Frau Kuhn versucht, die Blumen, die als Muster auf den Teppich gedruckt sind, zu pflücken. Die Blumen des Teppichmusters werden von Frau Kuhn als solche erkannt, jedoch als echte Blumen wahrgenommen. Die Verarbeitung ihres Sinnesreizes ist also gestört und bedingt eine unlogische Handlung. Aus der Perspektive der Erkrankten jedoch ist die Schlussfolgerung des Blumenpflückens in sich stimmig. 

Frau Kuhn berichtet auch, dass in ihrem Wohnzimmer eine ganze Gruppe fremder Personen sitze und sie sich bedroht fühle. Beim Nachsehen fällt auf, dass sich niemand im Wohnzimmer befindet, aber im Fernsehen eine Talk-Show läuft. 

Wichtig ist, dass die Betreuenden von Menschen mit Demenz diese Zusammenhänge nicht nur verstehen, sondern auch empathisch darauf reagieren. Es bringt nichts, wenn wir Frau Kuhn darauf aufmerksam machen, dass sie die Blumen nicht vom Teppich pflücken kann und ihr erklären, dass die fremden Personen im Fernsehen keine Bedrohung sind. Wir weisen sie damit höchstens auf ihre Fehlleistungen hin und lösen schlechte Gefühle aus. Viel sinnvoller wäre es, sich mit ihr auf den Teppich zu setzen und über die schönen Blumenmuster zu sprechen.

Veränderung der Selbstwahrnehmung bei Menschen mit Demenz

Auch die Selbstwahrnehmung verändert sich mit dem Fortschreiten der Erkrankung. Menschen mit Demenz leben zunehmend in ihrer eigenen Welt. Vergangenes wird oft erlebt, als ob es aktuell geschehen würde. Ein 80-Jähriger, der zur Arbeit muss; eine 70-Jährige, die nach Hause will, weil ihre kleinen Kinder auf sie warten. Die Erkrankten erleben sich dann als jung, sie sind zufrieden, und in ihrer Vorstellung können sie vieles noch alleine bewerkstelligen. Andererseits kann das »Leben in der Vergangenheit« natürlich auch unangenehme Erfahrungen mit sich bringen.

demenzjournal

«Biografiearbeit kann bedrohlich sein»

Christoph Held will der psychotischen Seite einer Demenzerkrankung mehr Beachtung schenken. Nostalgiezimmer findet der Heimarzt, Gerontopsychiater und Buchautor heuchlerisch, virtuelle Vergangenheitswelten … weiterlesen

> Michael Niedeggen, Silke Jörgens, Visuelle Wahrnehmungsstörungen, Hogrefe, 2005

> Das Video vom unsichtbaren Gorilla führt vor Augen, dass wir uns nur auf eine Sache konzentrieren könne

> Tipps zur Realitäts-Orientierung findest du hier

demenzjournal

Wenn Verstorbene ins Zimmer kommen

Eine Lewy-Körperchen-Demenz äussert sich typischerweise durch optische Halluzinationen. Warum es so wichtig ist, eine Demenz korrekt einzuordnen und wie man als … weiterlesen

Entdecke unsere weiteren Plattformen:

demenzworld

Alles für das Leben mit Demenz: Verschaffe dir einen Überblick über die demenzworld und entdecke unser demenznavi.

Mehr erfahren

demenzjournal

Interviews, Reportagen, Blogs und mehr: demenzjournal versorgt dich seit 2016 crossmedial mit Demenzwissen.

Mehr erfahren

demenzmeets

Triff Angehörige, Betroffene und Fachpersonen zu einem Austausch auf Augenhöhe und verbringe »leichte Stunden zu einem schweren Thema«.

Mehr erfahren

demenzforum

Tausche dich in unserem sicheren Online-Forum vertrauensvoll zum Alltag mit Demenz aus und erhalte rasch Antworten.

Mehr erfahren