Unruhe

Innere Erregung und ein unstillbarer Bewegungsdrang können viele Gründe haben. Die gesteigerte Psychomotorik eines Menschen mit Demenz zu erleben, ist für Angehörige und das Pflegepersonal enorm anstrengend – doch es gibt Möglichkeiten, den damit verbundenen Stress zu lindern.

Unter Agitation (auch: Agitiertheit) versteht man einen Zustand der innerlichen Erregung, der sich durch einen unstillbaren Bewegungsdrang äussert. Agitierte Menschen laufen meist rastlos auf und ab und sind nicht fähig, still zu sitzen.

Zudem zeigen sie oft unkontrollierte, ziellose Bewegungsabläufe wie Herumzappeln, ständiges Zupfen an der eigenen Kleidung oder beiläufiges Hantieren mit Gegenständen. Auch Zittern kann eine Form der Agitiertheit sein. In der Psychologie werden diese Verhaltensweisen unter dem Begriff «gesteigerte Psychomotorik» zusammengefasst.

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Agitationszustände können als Anzeichen verschiedener Erkrankungen auftreten oder als Nebenwirkung bestimmter Medikamente wie auch Drogen(entzug) auftreten. Eine der Krankheiten, zu denen Agitiertheit gehört, ist die Demenz. Die Betroffenen selbst empfinden bei einem Agitationszustand in der Regel eine starke innere Anspannung und Unruhe.

Weglauftendenz ist eigentlich eine Hinlauftendenz

Im Gegensatz zu Menschen, die generell nervös veranlagt sind oder sich in einer Stresssituation angespannt fühlen, sind agitierte Personen jedoch nicht in der Lage, den Bewegungsdrang zu unterdrücken.

Bei einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung tritt Agitiertheit häufiger auf. Die zumeist älteren Patienten entwickeln eine grosse Unruhe und Bewegungsdrang. Beispielsweise laufen sie stundenlang in der Wohnung auf und ab, dies besonders nachts. Weil sie glauben, etwas erledigen zu müssen, verlassen Betroffene immer wieder unbemerkt ihr Bett, Zimmer oder ihre Wohnung. 

Manche Experten sprechen hier nicht von einer Weglauf-, sondern von einer Hinlauftendenz. Denn die Demenzkranken verfolgen mit ihrer Unruhe ein vermeintliches Ziel. Zum Beispiel wollen sie zur Arbeit gehen oder die Kinder von der Schule abholen. Aufgrund ihrer Orientierungslosigkeit finden sie sich meist im Strassenverkehr nicht zurecht und verlaufen sich. Für die Angehörigen bedeutet das eine ständige Sorge und Belastung.

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Weil nicht nur die räumliche, sondern auch die zeitliche Orientierung fehlt, verlangen die Betroffenen nachts ihr Frühstück und wollen tagsüber ins Bett gehen. Auf Hinweise oder Einmischung reagieren sie mitunter gereizt oder aggressiv, was sich durch Schreien, wildes Gestikulieren oder Wegdrängen von anderen Menschen bemerkbar machen kann. Für Angehörige und Pflegepersonal ist all dies eine grosse Herausforderung. Frust, Leidensdruck und Erschöpfung gehen damit Hand in Hand.

Schmerzen als Auslöser

Auch Schmerzen können Agitiertheit auslösen. In diesem Fall sind Betroffene nicht in der Lage, sich aufgrund ihrer Erkrankung anders zu äussern, dass ihnen etwas weh tut. Es ist daher sinnvoll, zunächst immer zu prüfen, ob Schmerzen als Ursachen für das Auftreten der Agitiertheit in Frage kommen können. In diesen Fällen hilft den Patienten eine Schmerztherapie gegen die Agitiertheit.

Quelle YouTube

Der Umgang mit Agitiertheit hat auch eine ethische Dimension, denn daran gekoppelt ist die Frage: Wie gross ist die gesellschaftliche Akzeptanz bei Demenz? Oftmals werden Betroffene mit Medikamenten sediert, damit sie nicht mehr stören. Sinnvoller wäre es, nach den wirklichen Ursachen zu suchen und den Bewegungsdrang zu unterstützen. Denn letztlich ist jeder Fall einzigartig – und die Lösungsmöglichkeiten sind zahlreich.

Medikamentöse Therapie

Wenn der Bewegungsdrang für den Patienten leidvoll oder mit Gefahren verbunden ist, schlagen Ärzte mitunter eine medikamentöse Therapie vor. Zur Verfügung stehen dabei grundsätzlich Antidementiva, Antidepressiva, Antiepileptika, Sedativa (Beruhigungsmittel) oder Hypnotika (Schlafmittel). Gegebenenfalls können auch pflanzliche Pharmaka eingesetzt werden. Bei manchen Patienten reicht eine einmalige oder kurzzeitige Gabe eines oder mehrerer akut wirksamer Medikamente zur Beruhigung. Andere werden für einige Wochen therapiert.

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Benzodiazepine sollten in der Regel nach circa vier bis sechs Wochen abgesetzt werden, da sonst das Risiko der Abhängigkeit besteht. Bei Antipsychotika und Antidepressiva besteht dagegen keine Suchtgefahr. Allerdings tritt bei einer medikamentösen Behandlung oft Schläfrigkeit als unerwünschte Nebenwirkung auf. Diese erhöht die Gefahr von Stürzen und vermindert eine aktive Teilhabe.

Was kann – jenseits der Pharmakologie – noch helfen bei Agitiertheit? Tatsächlich das, was Menschen per se zum Wohlbefinden brauchen: viel Aktivität draussen, Berührungen, Massagen und Musik beruhigen agitierte und aggressive Demenzkranke wirksamer als Medikamente. Das ist das Ergebnis einer Netzwerk-Metaanalyse von 163 Studien mit über 23’000 Demenzkranken.

So können Sie die Unruhe von Menschen mit Demenz lindern

  • Grundbedürfnisse erfüllen: essen, trinken, schlafen, regelmässige Toilettengänge – auch liebevolle Zuwendung gehört dazu
  • Schmerzen erkennen und behandeln
  • Körperliche Aktivitäten anbieten: Spaziergänge, Tanzen, Gymnastik usw.
  • Sich darüber Gedanken machen, in welchem Rahmen der Betroffene seinen Bewegungsdrang selbstständig ausleben kann, ohne dass er sich selber gefährdet oder andere stört
  • Tagesablauf mit Ritualen gestalten
  • Erledigung kleiner Aufgaben ermöglichen und dafür danken
  • Aromatherapie: Lavendel, Bergamotte, Kamille, Vanille und andere ätherische Öle wirken beruhigend – entweder als Raumduft verwenden oder dem Betroffenen ein duftendes Tüchlein einstecken
  • Beruhigende Musik laufen lassen
  • Beobachten Sie den Betroffenen und finden Sie heraus, in welchen Situationen und unter welchen Umständen er sich entspannt. Probieren Sie etwas aus!

(Quelle: Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg und www.alzheimer.ch)

Beispiel: gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus

Hier haben Spaziergänge an der frischen Luft, kleine Hausarbeiten und Spiele einen positiven Einfluss auf die Agitiertheit. Auch die Schlafatmosphäre lässt sich so anpassen, dass Menschen mit Demenz mehr Ruhe finden – sei es mit Wärme, mit einer angepassten Matratze, mit Inkontinenzmaterial oder mit Nesteldecken, damit das Bedürfnis nach Berührung gestillt ist. 

Ebenso eignet sich die Musik zur Verminderung der Psychomotorik. Repetitive Bewegungen, die den Patienten nicht stören, aber auf das Umfeld bizarr wirken, sind kein Grund für eine medikamentöse Intervention. Der Neurologe und Bestsellerautor Oliver Sacks hat dazu interessante Beobachtungen gemacht:

Quelle YouTube

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«Auf demenzjournal.com und demenzwiki.com finden sich die Informationen, die ich gebraucht hätte, als ich in meiner Familie bei diesem Thema am Anfang stand.»

Arno Geiger, Schriftsteller (Der alte König in seinem Exil)

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➔ zum Dossier «Bewegen! Eine Ressource ist kein Problem» auf alzheimer.ch 

➔ Ian Andrew James, Louisa Jackman, Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz, Hogrefe, 2019

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