Achtsamkeit

Fokussiert und gelassen sein lässt sich lernen. Wir können Menschen mit Demenz achtsam begleiten, indem wir sie annehmen, wie sie sind. Gleiches gilt für eigene Bedürfnisse und Grenzen.

Achtsamkeit: Das ist die Fähigkeit, unsere Gegenwart bewusst und ohne Bewertung wahrzunehmen und gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit fokussiert lenken zu können. Es ist ein Zustand des Geistes, in dem wir wach und präsent sind. Ohne Ablenkung durch Gedanken oder Gefühle. Klingt einfach, ist es aber nicht. 

Normalerweise gehen Menschen eher unachtsam durch ihr Leben. So werden beispielsweise Gewohnheiten (das Kaffeewasser aufsetzen, den Wasserhahn zudrehen, durch die Tür gehen) eher unbewusst abgespult als bewusst vollzogen. Im Kopf ist man bei solchen Alltagsroutinen meist bei Themen aus der Vergangenheit (»Gestern hätte ich dies und das besser machen sollen«) oder der Zukunft (»Ich darf auf keinen Fall den Anruf nachher vergessen«).

Achtsamkeit aber holt den Menschen ins Hier und Jetzt zurück. Konkret an diesen Beispielen erklärt, würde Achtsamkeit hier bedeuten: den Duft des Kaffeepulvers riechen, das Plätschern des Wassers wahrnehmen. Das Metall in den Händen fühlen, während man den Wasserhahn zudreht. Die Tür bewusst wahrnehmen, während man hindurchgeht.

Die Wurzeln des Achtsamkeitskonzepts liegen im Buddhismus. In der westlichen Welt haben psychotherapeutische Methoden der Achtsamkeit den Weg bereitet. Gegenwärtig gibt es diverse Schulen und Lehrmethoden, mit deren Hilfe man das gelassene und präsente Leben erlernen kann.

Wie du durch Achtsamkeit besser mit Krisen umgehst

Am bekanntesten ist die Arbeit von Jon Kabat-Zinn, einem ehemaligen Professor für Molekularbiologie, der seit fast 40 Jahren Achtsamkeitsmeditationen unterrichtet. Seine Motivation: Er will Menschen helfen, besser mit Stress und Krisen umgehen zu können. Dazu hat er die »Mindfulness-Based Stress Reduction« (MBSR) entwickelt, einen achtwöchigen Kurs, in dem teilweise aus Hatha Yoga, Vipassana-Meditation und Zen-Buddhismus stammende, aufeinander abgestimmte Übungen für Aufmerksamkeit und Meditation miteinander verbunden sind.

Kabat-Zinn definiert seine Arbeit wie folgt: »Achtsamkeit ist von Augenblick zu Augenblick gegenwärtiges, nicht urteilendes Gewahrsein, kultiviert dadurch, dass wir aufmerksam sind. Achtsamkeit entspringt dem Leben ganz natürlich. Sie kann durch Praxis gefestigt werden. Diese Praxis wird manchmal Meditation genannt. Doch Meditation ist nicht das, was Sie denken.«

Quelle SRF/YouTube

Wie Achtsamkeit Angehörigen und Pflegenden hilft

In jüngster Zeit wenden sich auch Gesellschaft, Politik und Wirtschaft den Aspekten der Achtsamkeit zu. MBSR-Achtsamkeitskurse werden mittlerweile von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst. Politiker wie der US-Demokrat Tim Ryan suchen einen Weg, Achtsamkeit mit politischem Denken zu verbinden.

Neurowissenschaftler wie Tania Singer, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, erforschen, wie mentalen Techniken psycho-sozialen Stress auf hormoneller Ebene reduzieren. Die Ergebnisse sind vielversprechend: «Achtsamkeitstraining schult sozusagen die Basiskompetenzen, die jeder braucht, um ein verantwortlicher, toleranter Weltbürger zu werden», sagt Singer in einem Interview.

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Wie liebevolle Begleitung durch Achtsamkeit gelingt

Auch im Umgang mit Demenz zeigen die Methoden der Achtsamkeit ihre Stärken. Denn nur «wenn ein achtsamer und liebevoller Umgang mit sich selbst eingeübt wird, entsteht die Basis, andere Menschen – besonders solche mit Demenz – wertschätzend zu begleiten», heisst es in einer Arbeit von Brigitta Schröder.

Die Diakonisse und Krankenschwester, die für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, hat der Achtsamkeit bei Demenz mehrere Bücher gewidmet. Ihr Ansatz: «Mitten im Schweren eine Leichtigkeit entfalten – und diese beginnt immer bei sich selbst.»

Buchtipp

Menschen mit Demenz zu begleiten, ist eine enorme Herausforderung. Lässt sich ein positiver Zugang dazu finden? Dieses Buch motiviert alle Begleitenden, sich der besonderen Lebensphase mit Phantasie und Wertschätzung zuzuwenden. Schröder lädt ein, Demenz anders zu sehen. Mit zahlreichen Arbeitsmaterialien für die Selbstreflexion.

Brigitta Schröder: Menschen mit Demenz achtsam begleiten, Blickrichtungswechsel leben, Kohlhammer Verlag 2014

Achtsamkeit kann deshalb auch als Selbstfürsorge verstanden werden. So helfen meditative Verfahren wie MBSR pflegenden Angehörigen wie Pflegekräften beim Abbau von chronischem Stress. Im Rahmen von strukturierten Trainings lässt sich lernen, Emotionen und Gedanken wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten, und den Blick immer wieder auf den gegenwärtigen Moment zu richten. Das hat einen positiven Effekt auf die Lebensqualität und wirkt präventiv gegen depressive Verstimmungen. In einer Übersichtsarbeit von 14 Studien mit 850 Teilnehmenden wurden diese Ergebnisse belegt. Auch ohne Trainings und vorbereitende Kurse lässt sich Achtsamkeit im Alltag einbinden.

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So betreust und lebst du mit mehr Achtsamkeit

  • Präsenz: Sei im Hier und Jetzt präsent, wenn du dich um die Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person kümmerst. Vermeide Ablenkungen und konzentriere dich vollständig auf den Moment und die Interaktion mit der Person.
  • Respekt: Behandle die pflegebedürftige Person mit Respekt, Würde und Achtung. Anerkenne ihre Individualität und persönlichen Vorlieben. Biete Unterstützung an, aber respektiere auch ihre Autonomie und Entscheidungen, soweit es möglich ist.
  • Empathie: Versuche, die Gefühle und Perspektiven der pflegebedürftigen Person zu verstehen und einzufühlen. Zeige Mitgefühl und versuche, ihre Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.
  • Dankbarkeit: Sei dankbar dafür, dass du gesund bist und mit deinem Wirken andere Menschen unterstützen kannst.
  • Beziehungen: Pflege die Kontakte zu deinen Mitmenschen in der Pflege, an der Arbeit und in der Familie. Auch ein Schwatz mit deinem Nachbarn trägt zu deinem und seinem Wohlbefinden bei.
  • Hilfsbereitschaft: Unterstütze andere Menschen – ob gesund oder krank – so gut du es kannst. Es ist eine dankbare Aufgabe, wenn man anderen Menschen helfen kann.
  • Kommunikation: Kommuniziere klar, offen und einfühlsam mit der pflegebedürftigen Person. Nutze eine verständliche Sprache, höre aktiv zu und bestätige ihr, dass du sie verstehst. Stelle Fragen, um ihre Bedürfnisse besser zu erfassen.
  • Sensibilität: Sei sensibel für nonverbale Signale, Körpersprache und verbale Äußerungen der pflegebedürftigen Person. Achte auf ihre Bedürfnisse, Ängste oder Unbehagen und versuche angemessen darauf zu reagieren.
  • Eins nach dem anderen: Überlege dir, was Priorität hat und wie sich Aufwand und Ertrag verhalten. Nimm einen Schritt nach dem anderen und nimm dir nicht zu viel vor.
  • Selbstfürsorge: Achte auf deine eigenen Bedürfnisse und Grenzen als Pflegeperson. Nimm dir Zeit für Ruhepausen, suche Unterstützung bei Kollegen oder Familie und sorge für dein eigenes körperliches und emotionales Wohlbefinden. Indem du gut für dich selbst sorgst, kannst du auch besser für andere sorgen.

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> Johannes Michalak, Thomas Heidenreich, J. Mark G. Williams, Achtsamkeit, Hogrefe Verlag, 2022

> Brigitta Schröder, Menschen mit Demenz achtsam begleiten, Kohlhammer, 2014

> Hier gehts zum Beitrag «Achtsamkeit und die Situation pflegender Angehöriger» auf Peggy Elfmanns Blog «Alzheimer und wir»

Kontakte zu zertifizierten Achtsamkeitslehrer:innen für MBSR findest du hier:

> MBSR Deutschland

> MBSR Schweiz

> MBSR Österreich

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