Geschichte

Jahrhundertelang interessierten sich Mediziner und Öffentlichkeit kaum für Demenz. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts änderte sich dies.

Schon im antiken Griechenland beschäftigten sich Philosophen und Literaten mit den Symptomen der Demenz. Aristoteles (384-322 v. Chr.) betrachtete den letzten Lebensabschnitt des Menschen als eine vom Ungleichgewicht der Körpersäfte verursachte «natürliche Krankheit».

Im ersten nachchristlichen Jahrhundert nannte der römische Arzt Oelsus den Begriff Demenz erstmals im medizinischen Zusammenhang und bezeichnete damit eine länger anhaltende Sinnestäuschung. 

Etwas später verfasste der römischer Gelehrte Junius Juvenalis eine treffendere Beschreibung der Demenzsymptome: «Schlimmer als jeder Schaden an den Gliedern ist dementia, der Schwachsinn, durch den er weder die Namen der Sklaven noch das Gesicht des Freundes erkennt, mit dem er in der vergangenen Nacht speiste, noch jene, die er zeugte und aufzog.» 

Im Mittelalter wurden Menschen mit Demenz von der Gesellschaft ausgestossen, ihre Krankheit galt als Strafe für Sünden, als Besessenheit vom Teufel oder als Verhexung. Ende des 16. Jahrhunderts erstellte der Baseler Medizinprofessor Felix Platter eine Systematik der Geistesstörungen. Darin sprach er in Zusammenhang mit Demenz von «Verblödung» und nannte als Hauptmerkmal den Gedächtnisverlust von älteren Menschen, die vorher noch geistig beweglich waren. 

https://www.youtube.com/watch?v=VWyuH3Q6vPc
Quelle YouTube

Etwa 50 Jahre später erwähnte der französische Philosoph Denis Diderot den Begriff Demenz in seiner grossen Enzyklopädie. Er beschrieb die Erkrankung als Paralyse des Geistes, welche die Denkfähigkeit, im Gegensatz zum Delirium oder der Manie, dauerhaft auslöscht

Menschen mit Demenz kamen ins Gefängnis

Die zunehmende Beschäftigung der Wissenschaft mit dem Krankheitsbild der Demenz änderte aber nichts daran, dass geistig Erkrankte zumeist mit Kriminellen eingekerkert und in Ketten gelegt wurden. Ihre Situation begann sich erst zu verbessern, als der Pionier der französischen Psychiatrie Philippe Pinel sie im Pariser Hospital Bicêtre von ihren Ketten befreite. 

Pinel forderte, psychisch Kranke als solche anzuerkennen und sie als pflegebedürftige Menschen medizinisch zu behandeln. Überdies grenzte er um 1800 die «démence sénile» erstmals trennscharf von angeborenen geistigen Einschränkungen ab – als ein Leiden von Menschen, die allmählich ihre kognitiven Fähigkeiten einbüssen. 

➔ Hier geht es zu einem biographischen Text über Philippe Pinel

demenzjournal

Die Lady mit der Lampe

Florence Nightingale ist die Wegbereiterin der modernen Krankenpflege. Zum «Internationalen Jahr der Pflegenden und Hebammen» der Weltgesundheitsorganisation  veröffentlichten wir diesen … weiterlesen

Zwischen dem Ende des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Psychiatrie weiter, und die Neurologie etablierte sich als wissenschaftliche Disziplin. Damit einher ging die zunehmende medizinische Betrachtung der Demenz-Symptome.

Im deutschsprachigen Raum wurde dieser Begriff aber nicht benutzt, die Krankheit vielmehr als «erworbener Blödsinn» oder «mentis stupor» (erstarrter Geist) bezeichnet. Weil Menschen mit Demenz als «hoffnungslose Fälle» galten, war das Interesse der Medizin an der Erforschung von Demenz gering.

Dank Alois Alzheimer wurde es besser

Einer der wenigen Ärzte, der sich dieser Aufgabe Anfang des 20. Jahrhunderts widmete, war der Nervenarzt und Neuropathologe Alois Alzheimer. Während seiner Tätigkeit in der «Anstalt für Irre und Epileptische» in Frankfurt am Main sorgte er ausserdem dafür, dass die Insassen dort nicht mehr in Zwangsjacken gesteckt oder zwangsernährt wurden. Stattdessen führte er warme Entspannungsbäder für Patienten ein und ermöglichte ihnen Spaziergänge im Park der Anstalt. 

https://www.youtube.com/watch?v=37CQZqftxZc
Quelle YouTube

1901 wurde dort eine Frau eingeliefert, die unter schweren Gedächtnisstörungen und Wahnvorstellungen litt. Auguste Deter war erst 51 Jahre alt, deshalb schloss Alzheimer aus, dass sie an einer altersbedingten Demenz litt. In zahlreichen Gesprächen protokollierte er ihre schwere geistige Verwirrung und diagnostizierte vorläufig ein «präseniles Irresein». 

1903 wechselte Alzheimer an die Königliche Psychiatrische Klinik in München und setzte seine Forschungsarbeiten fort. Als Auguste Deter 1906 in Frankfurt starb, liess er sich Proben ihres Gehirns nach München schicken und untersuchte sie unterm Mikroskop. Ihm fielen abgestorbene Nervenzellen mit faserigen Strukturen (Fibrillenbündel) und Ablagerungen zwischen den Zellen (Plaques) auf. 

demenzjournal

Daniel Rohr liest einen Brief an Alois Alzheimer

Daniel Rohr, renommierter Schauspieler und Leiter des Zürcher Theaters Rigiblick versteht es ausgezeichnet, den fein gesponnenen und ironischen, zuweilen auch … weiterlesen

Im gleichen Jahr stellte Alzheimer seine Forschungsergebnisse über die «eigenartige Erkrankung der Hirnrinde» auf einer psychiatrischen Fachtagung in Tübingen vor. Doch bei den Kollegen fand sein Vortrag kaum Beachtung. In Fachkreisen herrschte damals noch die Meinung vor, dass «Altersblödsinn» kein organisches, sondern ein seelisches Leiden sei. 

Immerhin nahm Alzheimers Vorgesetzter Dr. Emil Kraepelin die Krankengeschichte von Auguste Deter 1910 in sein Lehrbuch der Psychiatrie auf und nannte sie «Alzheimersche Krankheit». Dennoch gerieten Alzheimers Erkenntnisse in den kommenden Jahrzehnten in Vergessenheit.

➔ Hier geht es zu einem ausführlichen Artikel über Alois Alzheimer

Obwohl die Alzheimer-Demenz seit langer Zeit beschrieben und publiziert war, wurden demenzielle Erkrankungen bis in die 1980er Jahre als «Hirnorganisches Psychosyndrom», kurz HOPS, diagnostiziert. Nach wie vor betrachteten viele Mediziner kognitive Verfallsprozesse als unvermeidbare Folge des Alterns. Eine genaue Klassifizierung der Krankheitsbilder wurde vernachlässigt, weil sie als therapeutisch nutzlos betrachtet wurde. 

Allerdings häuften sich seinerzeit auch die Anzeichen, dass mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung die Zahl der demenziell Erkrankten stark ansteigen könnte. Deshalb wurde in den USA 1974 das Nationale Institut für Alterung gegründet, und 1980 die weltweit erste Alzheimer-Gesellschaft. 

demenzjournal

Eine neue Ära im Umgang mit Demenz

Am 3. Zürcher Demenz Meet begegneten sich Betroffene, Angehörige, Pflegende, Experten, Politiker und Wissenschaftler auf Augenhöge. Die stimmige und inspirierende … weiterlesen

Im selben Jahr wurde der Begriff Alzheimer-Demenz in die führenden medizinischen Diagnoseschemata aufgenommen und als primäre degenerative Demenz klassifiziert. Damit wurde erstmals ein gesundheitsrechtlicher Anspruch auf Hilfeleistungen für die Betroffenen etabliert, und immer mehr Forscher beschäftigten sich mit den Ursachen für demenzielle Erkrankungen. 

Gleichzeitig wuchs weltweit ein Netzwerk von Alzheimer-Zentren, dessen Dachorganisation Alzheimer’s Desease International 1984 gegründet wurde. Im deutschsprachigen Raum gab es zu dieser Zeit weder entsprechende Institute noch nationale Aktionspläne. Die erste Alzheimer-Gesellschaft in Österreich wurde 1987 gegründet, die Schweiz folgte 1988 und Deutschland ein Jahr später. 

➔ Hier geht’s zu den heute bestehenden Anlaufstellen in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich

Das öffentliche Bewusstsein für die schwierige Situation von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen stieg, als immer mehr Prominente, etwa der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan oder die Schauspielerin Inge Meysel, offen über ihre Demenzerkrankung berichteten.

Dennoch mangelt es bis heute an einer umfassenden Aufklärung der Bevölkerung über demenzielle Erkrankungen und am Verständnis für die Betroffenen. Und trotz aller Fortschritte bei der Erforschung der Demenz sind ihre Ursachen und Mechanismen noch lange nicht geklärt.

demenzjournal

Gravierende Wissenslücken und viel Stigmatisierung

Ein grosser Teil der Weltbevölkerung versteht nicht viel von der Krankheit Demenz und vom Umgang mit den Betroffenen. Dies zeigt … weiterlesen

  

Entdecke unsere weiteren Plattformen:

demenzworld

Alles für das Leben mit Demenz: Verschaffe dir einen Überblick über die demenzworld und entdecke unser demenznavi.

Mehr erfahren

demenzjournal

Interviews, Reportagen, Blogs und mehr: demenzjournal versorgt dich seit 2016 crossmedial mit Demenzwissen.

Mehr erfahren

demenzmeets

Triff Angehörige, Betroffene und Fachpersonen zu einem Austausch auf Augenhöhe und verbringe »leichte Stunden zu einem schweren Thema«.

Mehr erfahren

demenzforum

Tausche dich in unserem sicheren Online-Forum vertrauensvoll zum Alltag mit Demenz aus und erhalte rasch Antworten.

Mehr erfahren