Entlastung
Demenz stellt Beziehungen auf die Probe. Die Angehörigen von Menschen mit Demenz brauchen deshalb ebenso Unterstützung und Zuwendung wie die Betroffenen.
Alle drei Sekunden erkrankt weltweit ein Mensch an einer Demenz. Wenn dieser Mensch Glück hat, wird er von einem sozialen Netzwerk aufgefangen. Viele Menschen haben dieses Glück: Zwei Drittel der Betroffenen leben im vertrauten sozialen Umfeld der Familie, in der Nachbarschaft, im Quartier.
In den überwiegenden Fällen entscheiden sich die Angehörigen für die Pflege zu Hause. Damit übernehmen sie eine Rolle voller Widersprüche. Oft fühlen sie sich stark und schwach zugleich, empfinden gleichermassen Zuneigung und Abneigung, sie trauern und haben gleichzeitig den Wunsch nach Freiheit, nach einem Leben ohne Belastung.
Die Geriaterin und Ärztin Irene Bopp-Kistler schreibt:
Das Umfeld nimmt die betreuenden Angehörigen nicht mehr als Menschen mit eigenen Wünschen, Visionen und Bedürfnissen wahr, sondern eben nur noch als betreuende Angehörige. Sie werden konfrontiert mit Vorschlägen, Besserwisserei, obwohl sich niemand mehr mit der Demenzerkrankung auseinandersetzt als sie. Dabei sind gerade sie auf verständnisvolle Gesprächspartner angewiesen, da sich der Partner zunehmend entfernt und weil seine Empathie, das feine Einfühlungsvermögen, das den Boden einer Beziehung legt, früh verloren geht.
Sich um ein demenzkrankes Familienmitglied zu kümmern, ist körperlich und seelisch anstrengend. Entlastung ist notwendig, damit die Helfer an ihrer Aufgabe nicht zerbrechen.
Formen der Entlastung
So unterschiedlich eine Demenz verlaufen kann und so einzigartig die jeweilige Situation vor Ort ist, so individuell sind auch die Bedürfnisse der Angehörigen. Je nach Fortschreiten der Erkrankung können diese sich ändern. Folgende Entlastungsmöglichkeiten bieten sich an:
- Das «Outing»: Es ist hilfreich, wenn das nahe Umfeld – Angehörige, Freunde Nachbarn – Bescheid weiss über die Krankheit und in den Prozess die Betreuung mit einbezogen wird. Auch im Alltag (etwa bei einem Restaurantbesuch, bei Einkäufen) schafft eine offene Kommunikation Erleichterung und nimmt den Druck.
- Alzheimertelefon: Diese telefonische Beratung eignet sich wunderbar für einen ersten Rat nach der Diagnose und hilft auch später bei konkreten Fragen weiter. Hier geht’s zu den Alzheimer-Telefonen:
Deutschland: 030 259 37 95 14, www.deutsche-alzheimer.de
Schweiz: 058 058 80 80, www.alzheimer-schweiz.ch
Österreich: 043 1 890 34 74, www.alzheimer-gesellschaft.at - Lokale und regionale Angebote: Erkundigen sich bei den Verwaltungen von Städten, Kommunen oder Gemeinden nach den Angeboten. In der Regel gibt es in fast jeder Ortschaft zuständige Fachleute, die Ihnen die (nachfolgend aufgeführten) Angebote aufzeigen oder Sie an die richtigen Stellen weiterleiten können.
- Ehrenamtlich Helfende: Sie übernehmen stundenweise die soziale Betreuung der Kranken, nicht aber pflegerische oder hauswirtschaftliche Aufgaben. Freiwillige in Helfer/innenkreisen (auch «Betreuungsbörsen») werden regelmässig geschult und fachlich begleitet.
- Angehörigen- und Selbsthilfegruppen: Sie ermöglichen es Menschen, die von diesem Thema bewegt sind, zusammenzufinden und eine Stärkung zu erfahren. Zu erleben, dass man mit seinem Problem nicht allein ist, kann wohltuend sein und dabei helfen, mit den Herausforderungen anders oder angemessener umgehen zu können. Die Mitglieder tauschen Informationen aus und erhöhen so auch ihr «Expertenwissen». Diese Angebote finden Sie in der Regel auf den Websites der regionalen Alzheimer Geellschaften.
- Ambulante Pflegedienste (staatliche, offizielle und private): Sie leisten einen oft unverzichtbaren Beitrag, damit die Erkrankten weiterhin zu Hause leben können. Die Dienste reichen von der «Hauspflege» (Körperpflege, Hilfe beim Essen) bis zur «Häuslichen Krankenpflege» (Wundpflege oder Einteilung von Medikamenten).
- Tagespflegeeinrichtungen: Sie zählen zu den teilstationären Pflege- und Betreuungsangeboten. Der Besuch wirkt sich meist positiv auf das Wohlbefinden der Kranken aus und entlastet gleichzeitig die pflegenden Angehörigen. Meist sind Fahrdienste vorhanden, sie garantieren den problemlosen Hin- und Rücktransport.
- Kurzzeit- und Urlaubspflege: Die Kurzzeitpflege findet in der Regel in einer stationären Pflegeeinrichtung statt, die mit den Pflegekassen einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat. Für maximal 28 Tage im Jahr kann der erkrankte Angehörige dort in Obhut gegeben werden, sodass Angehörige in diesem Zeitraum zum Beispiel einen Erholungsurlaub in Anspruch nehmen können. Die Urlaubs- bzw. Verhinderungspflege ist ebenfalls für maximal 28 Tage möglich. Hier kann der Betroffene zum Beispiel zu Hause durch einen Pflegedienst versorgt werden, wenn die Hauptpflegeperson verhindert ist. Die jeweiligen Leistungen lassen sich auch miteinander kombinieren und die Tage so aufstocken.
- Betreuungsgruppen: Alzheimer-Gesellschaften sowie Wohlfahrtsverbände bieten Betreuungsgruppen zur Entlastung pflegender Angehöriger als niedrigschwelliges ambulantes Angebot an. Die Betroffenen werden für einige Stunden am Tag an ein bis zwei Tagen pro Woche in Gruppen beschäftigt und betreut.
- Betreuter Urlaub für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen: Urlaubsangebote, die speziell auf die Bedürfnisse von Demenzkranken und ihren Angehörigen zugeschnitten sind, haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend etabliert. Der grösste Teil dieser Angebote wird durch regionale und örtliche Alzheimer-Gesellschaften organisiert, es gibt aber auch andere Anbieter.
➔ Hier gibt’s eine Liste von Organisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Links und Literatur
Das Buch der US-amerikanischen Psychotherapeutin Pauline Boss hilft Angehörigen dabei, Zuversicht und seelische Widerstandskraft zu gewinnen, die eigene Trauer und die Widersprüchlichkeit im Leben mit Demenzkranken zu akzeptieren.
➔ Pauline Boss, «Da und doch so fern», Verlag Rüffer & Rub 2014
➔ Hier geht’s zu diversen Publikationen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zum Thema «Entlastung»
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