Gehirntraining
Im Alter sterben Gehirnzellen ab. Vergesslichkeit oder Konzentrationsschwäche können die Folgen sein. Spezielle Trainingsprogramme versuchen, den Verfall der grauen Zellen aufzuhalten. Was sie versprechen, was sie können – ein Überblick.
Wie lässt sich etwas trainieren, dessen Aufbau und Funktionsweise so viele Rätsel aufgibt? Das menschliche Gehirn besitzt knapp 90 Milliarden Nervenzellen, von denen es nur einen kleinen Bruchteil nutzt – das zumindest kann die Wissenschaft heute mit einiger Sicherheit sagen. Klar ist auch: Im Alter sterben Gehirnzellen ab. Die Gehirnmasse verringert sich.
Doch ab hier wird es kompliziert – denn es leiden nicht alle Funktionen des Gehirns gleichermassen unter dem Verlust der grauen Substanz. So bleiben Sprachfähigkeit und Allgemeinwissen bis ins hohe Alter stabil. Im Gegensatz dazu bauen Gedächtnis, Konzentration und Orientierung eher ab.
Tests in Hirnscannern zeigen ausserdem: Sobald die Leistungsfähigkeit eines Areals abnimmt, schaltet das Gehirn Areale hinzu, die vorher nicht in diesem Bereich aktiv waren. Seit 2011 läuft im Forschungszentrum Jülich dazu eine gross angelegte Untersuchung, die sogenannte 1000-Gehirne-Studie.
Das Projekt hat die Gehirne von rund 1300 Probanden im Alter zwischen 55 und 85 Jahren gescannt, 500 von ihnen sogar zweimal. Erste Auswertungen der Forscher zeigen: Im Alter arbeitet das Gehirn stärker vernetzt; neben den Genen prägen ausserdem Lebensstil und Umwelteinflüsse seine Fitness.
Netzwerke des Gehirns anregen
I M I A A X N I L M. K A L E I G A N. H I H R T P O C S.
Dieser Buchstabensalat ist kein Verschlüsselungscode, sondern eine Übung im Gehirnjogging. Bringt man die Buchstaben in die richtige Reihenfolge, ergeben sie Namen: Maximilian, Angelika und Christoph. In fortgeschrittenen Übungen kann man sein Gedächtnis mit Farben-Memories trainieren, Textaufgaben oder Bilderrätsel lösen.
Solche speziellen geistigen Übungen fürs Gehirn findet man en masse, im Internet genauso wie in Büchern oder Spiele-Apps. Bekannt wurde das Konzept des «Gehirnjoggings» vor allem durch Frank Berchem, der in den 1990ern mehrere Bücher darüber verfasste.
In Kombination mit einem sogenannten gehirngerechten Lebensstil (guter Schlaf, ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung, angeregte Sinne) wird ein solches Gehirntraining heute auch als «Brain-Tuning» bezeichnet. Um die Vitalität der grauen Substanz kümmert sich mit der «Gesellschaft für Gehirntraining» sogar ein eigener Verein mit Sitz im oberbayerischen Ebersberg.
Gehirn-Jogging, Brain-Tuning, Gehirntraining: Egal welchen Namen das Kind trägt, es bleiben Zweifel. Denn inwieweit solche gezielte Denksportübungen eine geeignete Methode sind, den mentalen Abbau aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen, ist derzeit noch weitgehend unklar. Zwar haben Dutzende Studien gezeigt, dass man mit Übungen seine Hirnleistung in allen Altersstufen steigern kann.
«Ich bezweifele aber, ob das auch zu Transfereffekten führt», sagt Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie an der Uni Zürich in einem Artikel im «Standard». «Also, dass auch andere als die trainierten Hirnfunktionen besser werden.»
Bei einem nahen Transfer würde Hirntraining lediglich die Funktion verbessern, die den trainierten sehr ähnlich seien, erklärt Jäncke. Ein Musiker lernt zum Beispiel nicht nur Töne und Melodien zu unterscheiden, sondern später auch gesprochene Vokale oder Laute. Bei einem Ferntransfer werden Funktionen beeinflusst, die wenig mit der trainierten gemeinsam haben.
Auf die Abwechslung kommt es an
Viel besser als Hirnjogging sei es, etwas zu üben, das man im Alltag anwenden kann, rät der Neuropsychologe: zum Beispiel Musizieren oder Sprachen lernen. Denn das Gehirn ist ein Leben lang wandlungsfähig und formbar.
So können auch im Alter noch neue Nervenzellen spriessen oder gar manche Areale wieder grösser werden. Eindrucksvoll belegt hat das die Neurowissenschaftlerin Eleanor Maguire vom University College London in einer Studie mit angehenden Taxifahrern (viele davon bereits älter als 40), die sie zum Gehirnscan bat.
Ihr besonderes Interesse galt dabei dem Hippocampus – jener Region, die unter anderem auch für die grossräumliche Orientierung zuständig ist. Wie sich zeigte, hatte sich bei jenen Kandidaten, die alle Abschlussprüfungen bestanden hatten, die Hirnsubstanz im hinteren Teil des Hippocampus deutlich vergrössert – bei jenen Fahrern, die die Ausbildung abbrachen oder durch die Prüfungen fielen, dagegen nicht.
Damit gelang der Forscherin der Beweis: Lernen – in diesem Fall Orientierungslernen im Londoner Strassenverkehr – führt zur Neustrukturierung und Erweiterung des Gehirns. Die Forschung spricht hier von neuronaler Plastizität. Dank dieser neuronalen Plastizität kann auch ein älterer Mensch noch lernen, Finnisch zu sprechen oder Geige zu spielen.
Forscher empfehlen diesen «aktiven kognitiven Lebensstil», der sich schon durch einfache Tätigkeiten wie Radiohören, Puzzeln oder Museumsbesuche auszeichnen kann. Und möglicherweise sogar das Risiko verringert, an Demenz zu erkranken. «Wichtig ist die Abwechslung, die man dem Hirn bietet, urteilt Jäncke. «Die Zeit für Hirnjogging am Computer kann man sich jedenfalls sparen.»
Links und Literatur
➔ Eva Flader, Kognitives Alltagstraining, Schulz-Kirchner-Verlag, 2020
➔ Wo liegt im Geschäft mit Hirnjogging die Grenze zwischen Seriosität und Scharlatanerie?
➔ Memory, Sudoku und mehr: Hier können Sie gratis Gehirntraining ausprobieren
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