Kinästhetik
Kinästhetik unterstützt Patienten und fördert Pflegende. Auch Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen können profitieren.
Das Wort Kinästhetik leitet sich ab vom altgriechischen «kineo» für bewegen und «aisthesis» für Wahrnehmung. Die Erfahrungswissenschaft beschäftigt sich mit der Entwicklung der bewussten Wahrnehmung der eigenen Bewegung und der Verbesserung der eigenen Bewegungskompetenz sowie mit der Fähigkeit, die eigene Bewegung im Kontakt mit anderen Menschen aktivierend einzusetzen. Kinästhetik nutzt dafür die Ebene der wechselseitigen Kommunikation über achtsame Berührung und Bewegung.
Die Grundkonzepte von Kinästhetik wurden in den 1980er Jahren vom amerikanischen Tänzer, Choreographen und Verhaltenskybernetiker Frank Hatch und seiner Lebensgefährtin Linda Sue Maietta entwickelt.
Wissenschaftliche Grundlagen dafür waren Erkenntnisse der Medizin, der Neurowissenschaften und der Kybernetik, also der Lehre von den Wechselwirkungen in Steuerungsprozessen. Die Instrumente und Methoden der Kinästhetik stiessen besonders im Pflegebereich auf grosses Interesse.
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Ziele, Wirkungen und Praxisbeispiele der Kinästhetik
In der Pflege zielt das Konzept der Kinästhetik darauf ab, die Mobilisation von Patienten zu erleichtern, ihre Bewegungsressourcen zu fördern und die körperliche Gesundheit der Pflegenden zu erhalten. In der Praxis wird jede Hilfe bei der Bewegung der Patienten so gestaltet, dass er dabei die Selbstkontrolle über das Geschehen hat, dass er also die eigene Bewegungserfahrung nachvollziehen kann und den eigenen Körper als selbstwirksam erlebt.
Für die Patienten bedeuten solche Mobilisationsmassnahmen weniger Schmerzen und Angst, geringere Anstrengung und Unterstützungsbedarf sowie die Wiedererlangung oder Verbesserung der Selbstständigkeit. Pflegende wiederum profitieren von der geringeren physischen Belastung und einer besseren Beziehung zu den Pflegebedürftigen.
Neues Verständnis von Genesung
Kinästhetik leistet auch einen wichtigen Beitrag zu einem neuen Verständnis von Genesung. Statt Bettruhe und Schonung geht es darum, Menschen pflegerisch dabei zu begleiten, ihre Gesundheitsentwicklung durch körperliche Aktivität positiv zu beeinflussen. Der Patient ist nicht länger das passive Objekt einer Pflegemassnahme und der Pflegende nicht mehr der einseitig Ausführende einer Massnahme.
Soll der Patient zum Beispiel aus der Rückenlage zur Bettkante bewegt werden und von dort in einen Stuhl, braucht ihn der Pflegende weder heben noch tragen. Vielmehr bringt er den Patienten durch bestimmte Berührungen und sanfte Unterstützung dazu, aus eigener Kraft über die Seitenlage zum Sitzen zu kommen. Das erspart den Pflegenden viel Kraftaufwand und aktiviert die Bewegungsressourcen der Patienten.
Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten
Die Methoden und Instrumente der Kinästhetik können in zahlreichen Kursen und Fortbildungen erlernt werden. Die Teilnehmenden lernen allgemeine Bewegungsprinzipien und deren Bedeutung für die pflegerische Praxis, sowohl in der Theorie als auch anhand eigener Bewegungserfahrungen. Inzwischen gibt es auch Kinästhetik-Kurse für pflegende Angehörige.
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Kinästhetik und Demenz
Viele Erfahrungsberichte zeigen, dass der Einsatz von Kinästhetik bei der Betreuung von Menschen mit Demenz einen positiven Einfluss auf deren Bewegungsfähigkeit und Lebensqualität hat. Die Unterstützung über Berührung und Bewegung bei alltäglichen Aktivitäten wie Waschen, Anziehen oder Fortbewegung ist auch dann noch möglich, wenn die geistigen Fähigkeiten schwinden. Besonders wichtig ist dies, wenn die sprachliche Kommunikation schwierig wird.
Auch wenn Menschen mit Demenz die alltägliche Pflege nicht mehr verstehen, ablehnen oder verweigern kann Kinästhetik einen wichtigen Beitrag leisten. Denn über Berührung und Bewegung können Betreuende deutlicher und achtsamer kommunizieren als mit vielen Worten.
Wenn Menschen mit Demenz erleben, wie sie ihre eigenen Bewegungsressourcen nutzen können, entsteht auch weniger Aggression. Kinästhetik erhöht die Selbstwirksamkeit und Gesundheitsentwicklung von demenziell Erkrankten und schont die Kräfte und Nerven der Helfenden. Dieses Handlungskonzept hat auch bei der Betreuung von Demenzpatienten eine positive Wirkung im doppelten Sinn.
Links und Literatur
➔ Maren Asmussen-Clausen, Praxisbuch Kinaesthetics, Elsevier, 2009
➔ Birgit Grüneberg, Kinaesthetics – Bewegung fördern – Wahrnehmung schulen, Vincentz
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