Marte Meo
Marte Meo zeigt in Videos, was im Alltag gut gelingt – und was Menschen mit Demenz brauchen, um ins Handeln zu kommen. Angehörige sehen Schritt für Schritt, wie sie Ruhe geben, Orientierung schaffen und kleine Erfolge ermöglichen. So wächst Vertrauen, und der Alltag wird leichter.
Von Cordula Bolz und Petra Lobenwein
Aktualisiert am 21. November 2025
FAQ 1: Was ist die Marte-Meo-Methode?
Marte Meo bedeutet »aus eigener Kraft«. Die Methode nutzt kurze Videoaufnahmen aus dem Alltag, um gelungene Momente sichtbar zu machen. Angehörige sehen so, was gut funktioniert und wie sie Menschen mit Demenz stärken können – mit Orientierung, Sicherheit und kleinen, klaren Handlungsschritten.
FAQ 2: Wie hilft Marte Meo im Umgang mit Demenz?
Durch das Videocoaching erkennen Angehörige, welche Signale die erkrankte Person braucht: Blickkontakt, Zeit, klare Worte, Bestätigung. Auch kleinste Initiativen werden sichtbar. Das stärkt das Selbstwertgefühl der Betroffenen – und gibt Angehörigen mehr Ruhe, Kompetenz und Zuversicht.
FAQ 3: Wer kann Marte Meo anwenden?
Marte Meo ist alltagstauglich und leicht zu lernen. Sie wird von Angehörigen, Pflegekräften, Therapeutinnen, Freiwilligen und vielen weiteren Berufsgruppen genutzt. Die Methode passt überall dort, wo Menschen Unterstützung brauchen – und Beziehung der wichtigste Schlüssel ist.
Wie Marte Meo entstanden ist
Der Begriff Marte Meo bedeutet Aus eigener Kraft oder In die eigene Kraft bringen. Diese videobasierte Beratungsmethode wurde von der Niederländerin Maria Aarts bereits in den 1970er Jahren entwickelt. Die Methode erleichtert den alltäglichen Umgang mit Personen, die umfangreiche Hilfe brauchen. Maria Aarts hat in ihrer Marte Meo Methode konkrete Beobachtungen über unterstützende Kommunikation gesammelt und analysiert.
Wenn eine Person ihre Handlungsmodelle verloren hat, wie es bei einer Demenzerkrankung häufig vorkommt, kann mit der Marte Meo Methode videobasiert Rat gegeben werden: Die Unterstützenden erfahren, was genau in der Praxis zu tun ist, damit die Person mit Demenz ein Gefühl bekommt von: »Ah, ich weiß noch, wie es geht!«. Dieses Gefühl, noch etwas zu können, stärkt das Selbstbewusstsein des Betroffenen und erleichtert die Kooperation.
Die Marte Meo Methode ist kultur- und generationenübergreifend einsetzbar. Ursprünglich für die Kinder- und Jugendarbeit entwickelt und erprobt, wird Marte Meo nun zunehmend in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz erfolgreich umgesetzt.
Interview mit Maria Aarts, die Marte Meo entwickelt hat
Wie Marte Meo funktioniert
Als ressourcenorientierte Methode hilft Marte Meo sowohl pflegenden Angehörigen als auch Fachkräften, die Beziehung zu der Person mit Demenz zu verbessern und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Orientierung, Sicherheit und Wertschätzung stehen dabei an erster Stelle. Marte Meo nutzt dabei selbst erstellte Videos:
Kurze Alltagsszenen werden gefilmt und anschließend im Beratungsgespräch analysiert. In dieser Analyse werden gezielt gelungene Momente im Miteinander herausgearbeitet und Verhalten, das die Zusammenarbeit fördert, bestärkt. Die Grundannahme in der Anwendung dieser Methode ist, dass alle Begleitenden die Anlage zu einer guten Beziehung bereits in sich tragen. Das Videocoaching hilft dabei, diese Fähigkeiten zu entdecken und weiter zu entwickeln. Außerdem sehen die Unterstützenden in den kurzen Filmaufnahmen, was die pflegebedürftige Person noch gut kann und wo sie für alltägliche Verrichtungen und Situationen besondere Unterstützung benötigt. Auch kleinste Handlungsinitiativen der Erkrankten, die im Alltag häufig untergehen, werden dank der Videoanalyse sichtbar.
Ein Beispiel aus der Praxis
Herr Günther besucht regelmäßig seine Ehefrau mit weit fortgeschrittener Demenz im Pflegeheim. Um seiner Frau einen schönen Nachmittag zu bereiten, bringt er jedes Mal gut verpackt das altbekannte Kaffeegedeck und ein Stück Obstkuchen von zu Hause mit. Während Herr Günther heute den Tisch deckt, wirkt seine Frau sehr apathisch. Sie liegt zusammengerollt auf ihrem Sessel und dämmert vor sich hin.
Als er fertig ist, streichelt er leicht ihre Schulter und wartet einen Augenblick. Nachdem er endlich ihren Blickkontakt hat, fragt er: »Willst Du mit mir Kaffee trinken?« Seine Frau schaut ihn verständnislos an, gibt einen fragenden Laut von sich und legt den Kopf wieder auf die Lehne ihres Sessels.
Herr Günther probiert es erneut mit seiner Frage, dringt jedoch nicht zu ihr durch. Nun ändert er seine Strategie: Er nimmt beim dritten Versuch den Kuchenteller, zeigt ihr diesen und sagt: »Schau, ich habe Dir ein Stück Erdbeerkuchen mitgebracht! Den magst Du doch so gerne …« Dieses Mal hat er Erfolg! Seine Frau setzt sich tatsächlich auf und schaut ihn an. Herr Günther nimmt nun die Kuchengabel mit einer kleinen Kostprobe und lässt sie probieren. Nach einigen Happen gibt er seiner Frau die Gabel in die Hand, sodass sie eigenständig weiteressen kann. Jetzt kann Herr Günther sich endlich entspannen und ebenfalls seinen Kuchen genießen.
Die geschilderte Szene ist Teil einer Marte Meo Filmaufnahme im Rahmen einer Angehörigenberatung. Im Auswertungsgespräch eine Woche später arbeitet die Beraterin mit Herrn Günther die hilfreichen Momente heraus. Dafür benutzt sie die Mikrobausteine der zwischenmenschlichen Interaktion, die sogenannten Marte Meo Elemente. Wie in Zeitlupe können die Beraterin und Herr Günther mithilfe dieser Elemente das, was vorgefallen ist, gemeinsam analysieren.
Folgende Marte Meo Elemente spielen in der Filmaufnahme von Herrn Günther mit seiner Frau eine wichtige Rolle:
- Körperkontakt: Herr Günther streichelt seine Frau an der Schulter und versucht so, ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. Gleichzeitig signalisiert er auf diese Weise: „Ich bin bei Dir – ich fühle mich mit Dir verbunden“. Solch ein Anschluss ist ausgesprochen wichtig, um eine Brücke zu einer versunkenen Person mit Demenz zu bauen.
- Warten: Herr Günther gibt seiner Frau Zeit und versucht, zusätzlich Blickkontakt herzustellen. Menschen mit fortgeschrittener Demenz benötigen unglaublich viel Zeit, bis sie mit ihrer Aufmerksamkeit bei dem sind, was die Begleitenden von ihnen wollen. Erst wenn Blickkontakt hergestellt ist, ist Handeln überhaupt möglich.
- Mehr sagen, als fragen: Oftmals versuchen begleitende Angehörige, durch Fragen die Bedürfnisse ihres Angehörigen mit Demenz herauszufinden – als Zeichen von Respekt. Allerdings lösen diese Fragen bei den Erkrankten häufig eine große Verunsicherung aus. Sie können sich in diesem Augenblick einfach nicht vorstellen, was gemeint ist, und reagieren möglicherweise mit Abwehr. Wie gut, dass Herr Günther sofort registriert, als er mit seiner Frage nicht weiterkommt.
- Stattdessen benennt er, was er seiner Frau zeigt: „Ich habe Dir ein Stück Kuchen mitgebracht.“ Jetzt schaut ihn seine Frau an und zeigt Interesse. Benennen ist ein sehr bedeutsames Marte Meo Element, das in vielen Varianten vorkommt. Mit Benennen werden die Begleitenden für den Menschen, den sie unterstützen, vorhersehbar und geben ihm Sicherheit und Orientierung.
- Als Herr Günther schließlich seiner Frau die Kuchengabel zum selbstständigen Weiteressen gibt, sagt er zu ihr „Ja genau. So ist es richtig!“. Bestätigen macht auch kleine Erfolge größer und vermittelt den Erkrankten das Gefühl, noch etwas zu können. Sie bekommen so die Kraft, weiterzumachen.
Durch das kleinschrittige Analysieren und positive Kommentieren der Videoaufnahme erleben sich Angehörige als Handelnde. Wie unter einer Lupe können sie sichtbar wahrnehmen, was sie getan haben, um die schwierige Situation gut zu bewältigen. So gewinnen sie mehr Handlungskompetenz für zukünftige Alltagssituationen und können später auf die erlernten hilfreichen Marte Meo Elemente zurückgreifen.
Die einfachen Marte Meo Elemente (im Praxisbeispiel fett markiert) helfen Angehörigen, Worte für das eigene Handeln zu finden. Besonders diejenigen, die noch ganz am Anfang einer Pflegesituation stehen, erhalten dadurch sehr konkrete Informationen, was genau sie wann tun können und warum das wichtig ist.
Wo Marte Meo eingesetzt wird
Marte Meo ist eine ausgesprochen alltagstaugliche Methode, die durch ihre Einfachheit für Angehörige und Pflegepersonen leicht erlernbar ist. Helfende benötigen passendes »Handwerkszeug«, um einer steigenden Anzahl von Menschen mit kognitiven Einschränkungen gerecht zu werden. Eine videobasierte Beratung unterstützt Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen und Situationen: Angehörige, Pflegeberater/innen, Sozialarbeiter/innen, Pflegekräfte, Heimleitungen, Mitarbeiter/innen in der Tagespflege, Betreuungskräfte, Ergotherapeut/innen, Physiotherapeut/innen, freiwillig Engagierte, Fußpfleger/innen, Seelsorger/innen, Polizist/innen …
Zusammenfassung
Die wichtigsten Kommunikationselemente für begleitende Angehörige aus Marte Meo Perspektive:
Ein freundliches Gesicht und eine warme Stimme vermittelt der Person mit Demenz: Ich werde gemocht, meine Begleitperson ist mir gegenüber wohlgesonnen. So sind die Betroffenen viel eher dazu bereit, mitzuhelfen, als wenn sie in ein ungeduldiges Gesicht schauen. Forschungsergebnisse besagen, dass selbst ein neutrales Gesicht von Menschen mit Demenz als ablehnend wahrgenommen wird.
Anschluss machen
Indem Angehörige sich selber und ihr Handeln benennen, z.B. „Ich komme jetzt zu Dir und setze mich neben Dich“, stellen sie den ersten Anschluss zu der erkrankten Person her. Die Person schaut sie in der Regel sofort an und beide sind miteinander im Kontakt. Je weiter die Demenz jedoch fortgeschritten ist, desto mehr Anschlussmomente sind notwendig. Angehörige erkennen dann durch aufmerksames Beobachten, ob die Person mit Demenz folgen kann oder irgendwo in ihrer Welt verloren ist. Vielleicht braucht es dann einen weiteren Anschluss indem der / die Angehörige sagt: „Du bist ganz in Deinen Gedanken versunken“. Auf diese Weise versuchen Begleitende, die Erkrankten immer wieder in die aktuelle Situation zu holen: Ohne Anschluss keine Aktion!
Mehr sagen, als fragen.
Dieser Aspekt wird besonders im weiter fortgeschrittenen Stadium der Demenz immer bedeutsamer. Damit ist gemeint, dass Angehörige zunehmend darauf verzichten sollten, Fragen nach den Wünschen der erkrankten Person zu stellen. Solche Fragen verunsichern Menschen mit Demenz häufig und sie versuchen, sich mit Ausreden (Schutzstrategien) aus der Situation zu retten. Im schlimmsten Fall reagiert die Person aufbrausend und abwehrend. Hilfreich ist es hier, wenn Angehörige sagen, wie sie es haben möchten. »Hier ist der Kuchen, schau, den kannst du essen!« So erhält die Person mit Demenz Orientierung und Struktur.
Warten – Folgen – Benennen
Wie bereits erwähnt, benötigen Menschen mit fortgeschrittener Demenz oft unglaublich viel Zeit, bis sie mit ihrer Aufmerksamkeit bei ihrem Gegenüber sind. Angehörige sollten also zunächst einmal (ab-) warten. Dann können sie eventuell einer Initiative folgen, die von ihrem Familienmitglied mit Demenz kommt, und diese benennen. Im obigen Beispiel könnte Herr Günther zum Beuspiel zu seiner Frau sagen: »Jetzt spießt Du eine Erdbeere auf. Mmh, … die schmeckt so gut!« Auf diese Weise registriert Frau Günther, was sie gerade tut, und fühlt sich wahrgenommen.
Folgen, indem Angehörige einfach die Worte wiederholen
Bei ausgeprägten Wortfindungsstörungen können Angehörige einzelne Wörter, die sie verstanden haben, wiederholen. Durch die Wortwiederholung, also das Benennen der verstandenen Worte, hört sich der Mensch mit Demenz sozusagen selbst noch einmal. Das, was er sagen will, festigt sich. Der / die Erkrankte kann sich damit leichter erinnern und es fällt ihm / ihr möglicherweise sogar noch etwas Weiteres zu der Situation ein.
Die Marte Meo Elemente helfen Menschen mit Demenz, wieder in ihre eigene Kraft zu kommen. Menschen, die vorher teilnahmslos dagesessen haben, tun überraschend etwas. Frau Günther kann ihren Kuchen in dem Augenblick wieder selbstständig essen, denn sie fühlt sich von ihrem Mann gesehen. Angehörige und Fachkräfte nehmen in den kurzen Videosequenzen wahr, was sie selbst mithilfe der Marte Meo Elemente bewegen können und wie Beziehung entsteht. Diese schönen Momente geben auch den Betreuenden neue Kraft. Sie können emotional auftanken.
Links und Literatur zu Marte Meo
> Claudia Berther, Therese Niklaus Loosli, Die Marte Meo Methode, 2019, hogrefe Verlag
> Hier geht’s zur Website von Cordula Bolz (Autorin dieses Artikels)
> Hier geht’s zur Website des Marte Meo Instituts
Die Autorinnen:
Cordula Bolz – Diplomsozialgerontologin und Marte Meo Trainerin, www.umgang-demenz.de
Petra Lobenwein – Gesundheits- und Krankenschwester, Systemische Familientherapeutin und Marte Meo Trainerin, Petra.Lobenwein@t-online.de
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