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Deeskalation

Konflikte mit Menschen mit Demenz belasten Angehörige und Pflegende stark. Es gibt Methoden, die den Umgang damit erleichtern.

Konflikte gehören zum Leben. Das gilt nicht nur, aber eben auch in der Pflege. Deeskalation bedeutet, solche Auseinandersetzungen zu entschärfen und damit letztlich Gewalt zu verhindern. Leichter möglich wird das, indem man die verschiedenen Stufen der Eskalation – also der Verschärfung eines Konflikts – versteht, sie im gegebenen Moment erkennen und angemessen handeln kann.

Ein bekanntes Modell der Konflikteskalation hat der Psychologe Friedrich Glasl in den 1980er-Jahren entwickelt. Demnach entwickelt sich ein Konflikt in neun Eskalationsstufen und in drei Hauptphasen. 

  • In der ersten Phase heissen die Stufen «Verhärtung», «Polarisation und Debatte» sowie «Taten statt Worte». Hier deuten Spannungen zwischen zwei Menschen («Verhärtung») einen bevorstehenden Konflikt an. Man beginnt zu argumentieren, versucht vielleicht auch den anderen zu überzeugen («Polarisation und Debatte»). In der Pflege kann das zum Beispiel bedeuten, dass man dem Patienten etwas mit scheinbar guten Argumenten aufzwängen will («Sie müssen die Jacke jetzt anziehen, sonst frieren Sie»). In der folgenden Stufe («Taten statt Worte») verschärft sich die Situation weiter, es wird mehr gehandelt und weniger argumentiert. Um im Beispiel zu bleiben: Die Jacke wird jetzt wortlos und gegen den Willen des Patienten angezogen.

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  • In der zweiten Phase treten die Stufen «Sorge um das Image», «Gesichtsverlust» und «Drohstrategien» auf. Nun werden zum Beispiel Verbündete hinzugezogen, um die eigene Position zu untermauern («Sorge um das Image»). Es geht weniger um das Lösen eines Konfliktes und mehr ums Gewinnen. Eine differenzierte Perspektive wird immer unmöglicher, weil eine moralische Entwertung der Gegenseite stattfindet («Gesichtsverlust»). So bekommt ein Demenzkranker, der sich beim Anziehen häufiger wehrt, in dieser Phase vielleicht das Label «streitsüchtig» verpasst. Mit Hilfe von Drohungen versucht man, das Gegenüber zum Aufgeben zu zwingen («Drohstrategien»).
  • In der dritten Phase kommt es zunächst zur Stufe «Vernichtung», bei der über moralische Instanzen hinweg Schaden angerichtet wird – das kann zum Beispiel körperliche Gewalt beim Einkleiden sein. Die achte Stufe kennzeichnet eine «Zersplitterung»: Hier wird Druck auf das Netzwerk des Gegenübers – etwa die nächsten Angehörigen – ausgeübt, um ihn oder sie weiter zu schwächen oder zu isolieren. Die neunte und letzte Stufe heisst «Gemeinsam in den Abgrund». Wesentlich ist hier, dass eine oder jede der beiden Seiten um einen so hohen Preis gewinnen will, dass sie sich notfalls dabei selbst zugrunde richtet. Medienberichte über Pflegekräfte oder pflegende Angehörige, die sich wegen Gewalttaten vor Gericht verantworten müssen, geben ein Beispiel von der zerstörerischen Kraft dieser letzten Stufe.

Vom Extrem zurück zum Alltag: Pflege – ob beruflich oder privat – verläuft nicht immer harmonisch. Wenn ein Mensch für einen anderen Menschen sorgt, dann kann es zu Konflikten kommen, zu Übergriffen und zu Gewalt. Diese zeigt sich vielfältig: Sie kann verbal sein, emotional, körperlich. Gewalt in der Pflege ist ein Thema, das lange unterschätzt oder tabuisiert wurde. Entsprechend schmal ist die Informationsliteratur dazu.

Ein guter Einblick in die Situation findet sich im Buch «Deeskalation in der Pflege» der Deeskalationstrainer Tim Bärsch und Marian Rohde , einem Krankenpfleger für Psychiatrie. Bärsch und Rohde zufolge wurden mehr als 70 Prozent der Mitarbeitenden in Gesundheitseinrichtungen schon einmal verbal angegriffen. Und mindestens 28 Prozent der Pflegekräfte in Deutschland erleben mindestens einmal im Monat massive Gewalt.

Eskalationsstufen erkennen

Häufig lassen sich in der Pflege Situationen entschärfen, indem man frühzeitig mögliche Eskalationsstufen erkennt. Wie das gelingen kann, beschreibt die Erziehungswissenschaftlerin Sonja Gross praxisnah auf der Seite ihrer Beratungsagentur Conceptera. Gross zufolge ist es im frühen Beginn eines Konfliktes hilfreich, aggressionsauslösende Reize zu minimieren.

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Etwa, indem Angehörige und Pflegekräfte für Sicherheit und Abwechslung sorgen oder auf Grundbedürfnisse (Hunger, Müdigkeit, Kälteempfinden) achten. Vor fast jeder Eskalation gibt es Frühwarnzeichen: Emotionen, wie Ärger oder Frustration, ein angespanntes Gesicht oder eine lautere Stimme. Um diese frühzeitig zu erkennen, ist es wichtig, die oder den Betroffenen genau zu beobachten.

Im Zusammenhang mit Deeskalation ist zudem Selbstreflexion zentral («Was macht die Situation mit mir? Wie wirke ich auf andere?»). ​Wichtig ist, dass Aggressivität und eventuell damit einhergehende Beleidigungen oder Beschimpfungen nicht persönlich genommen werden. Man sollte sich bewusst machen, dass sie ein Ausdruck der momentanen Notlage des Menschen sind.

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Um eine Person für einen Moment aus seiner Erregung zu holen, hilft oft ein kurzes, bestimmtes «Hallo, Herr Müller» oder «Stopp, Frau Meier»; das Ansprechen mit Namen wird empfohlen. In diesem Moment ist es wichtig, dass keine Belehrungen folgen, sondern die Gefühle anerkannt und akzeptiert werden («Ich merke, wie wütend du gerade bist. Ich verstehe das. Ich will dir helfen.»).

Je nachdem, wie bedrohlich die Situation schon ist, macht es Sinn, sofort jemanden zu benachrichtigen und dazu zu holen. In jedem Fall ist es wichtig, den Vorfall mit dem Team zu teilen und gemeinsam zu reflektieren. Ist die Eskalation da, ist das vorrangige Ziel, Sicherheit herzustellen und Schaden zu vermeiden. Es gilt immer: «Safety first!»

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«Es macht Menschen krank, wenn sie mit ihren Problemen allein gelassen werden. Deshalb ist es gut, dass es demenzjournal.com und demenzwiki.com gibt.»

Gerald Hüther, Hirnforscher und Bestsellerautor

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Nach einer Krise sinkt das Erregungsniveau nicht sofort wieder in den Normalzustand, sondern bleibt noch eine Weile stark erhöht. Entsprechend sollte man mit der Aufarbeitung so lange warten, bis sich die betroffene Person in der geschützten Umgebung beruhigt hat. Im Nachgang einer Eskalation kommen Gefühle wie Trauer, Scham oder auch Verleugnung auf.

Zur Deeskalation im Sinne von Beziehungssicherheit gehört die Versicherung, dass es keinen Abbruch in der Beziehung gibt und der demenziell Erkrankte weiterhin akzeptiert wird. Zum Beispiel, indem man etwas zu trinken vorbeibringt und nachfragt, wie es dem anderen geht. Erst wenn Betroffene wieder den ihnen normalen Zustand erreicht haben, ist eine Nachbesprechung möglich. Quelle: Conceptera.ch

➔ Johannes Nau u.a. (Hg.), Aggression, Gewalt und Aggressionsmanagement, Hogrefe, 2019

➔ Hier geht’s zum lesenswerten Blogbeitrag «So vermeiden Sie Gewalt in der Pflege»

➔ Hier geht’s zu Praxistipps mit Fallbeispielen aus der Pflege

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