Selbstbestimmung
Menschen mit Demenz können mit dem Fortschreiten der Krankheit viele Entscheidungen nicht mehr selbst treffen. Deshalb gilt es, früh den eigenen Willen festzuhalten und geeignete »Stellvertreter« zu haben.
Selbstbestimmt lebt, wer Informationen versteht, sie beurteilen kann, Risiken und Nutzen abwägen und getroffene Entscheidungen gegenüber Dritten begründen kann. In der Medizin umfasst Selbstbestimmung das Recht von Patienten – nach fachgerechter Aufklärung – Behandlungen zuzustimmen oder abzulehnen. Ärztliche Massnahmen ohne Einwilligung sind nur in Notfällen vertretbar.
Bei leichter Demenz sind Menschen meist noch entscheidungsfähig, auch wenn sie länger brauchen, um Entschlüsse zu fällen. Negative Einflüsse sind Depressionen, Orientierungsschwierigkeiten in fremder Umgebung, Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit und Zerstreutheit. Lassen Angehörige und Pfleger den Betroffenen genug Zeit für Entscheidungen, kann ein selbstbestimmtes Leben weiterhin möglich sein. Wie das gehen kann, zeigt zum Beispiel die Organisation Promenz:
Bei mittelschwerer Demenz können Menschen in der Regel auch noch einfache Entscheidungen treffen, welche die Gegenwart betreffen. Ein gestörtes Kurzzeitgedächtnis, Desorientiertheit, Ruhelosigkeit und Sprachstörungen erschweren das aber. Pflegende Angehörige und Pfleger können Betroffene trotzdem in zeitlich oder räumlich überschaubare Entscheidungen mit einbeziehen.
Schwere Demenz ist gekennzeichnet durch einen starken geistigen Abbau. Patienten können bestenfalls auf Basis ihrer augenblicklichen Gefühlslage (Wohlsein, Zufriedenheit, Angst) einfache Ja-Nein-Entscheidungen treffen. Darüber hinaus bestimmen Dritte – unter Berücksichtigung der jeweils ersichtlichen oder angenommenen Interessenlage des Patienten – über die Betroffenen.
Würde und Willensbildung bei Demenz
Obwohl Menschen mit Demenz sukzessive Erinnerungen, Sprache und Denkvermögen verlieren und dadurch ihre Selbstbestimmung abnimmt, sind sie in der Lage, die Umgebung wahrzunehmen und Wünsche zu äussern – nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium.
So können Patienten beispielswiese mimisch, gestisch oder lautmalerisch vermitteln, ob sie Gesellschaft wünschen, welche Kleidung sie tragen, wann sie schlafen oder essen wollen. Für Aussenstehende ist es allerdings nicht immer einfach, die richtige Botschaft zu erkennen. Am wichtigsten sind Geduld und Einfühlungsvermögen.
Um Angehörige und Pfleger bei Entscheidungen im Sinne von demenziell Erkrankten zu unterstützen, hat die Abteilung «Ethik im Gesundheitswesen» des Erzbistums Köln das «Köln-Nimweger-Instrumentarium für Ethische Fallbesprechung» veröffentlicht. Anhand von strukturierten Fragen, die sich alle an der Pflege Beteiligten hinsichtlich ihres Patienten stellen, soll der Wille des Patienten so weit wie möglich bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.
Grenzen der Selbstbestimmung bei Demenz
Die Wünsche von Menschen mit Demenz dürfen von Angehörigen und Pflegern nicht einfach ignoriert werden. Auch ein unvernünftiges Verlangen – etwa ein Spaziergang in der Kälte oder ein Nein zu einer therapeutisch sinnvollen Veranstaltung – sollte ernst genommen werden.
Wünsche dürfen verweigert werden, falls die Erfüllung den Menschen mit Demenz gefährden oder Angehörige und Pfleger überfordern. Der Deutsche Ethikrat schreibt dazu: «Wenn der Handelnde für das Wohl und Wehe des anderen verantwortlich ist und dieser die Tragweite seines Verlangens nicht erkennen kann, ist der Verantwortliche sogar verpflichtet, die Wunscherfüllung abzulehnen.» Zudem braucht der Pflegende «unzumutbare Aufgaben, die ihn überfordern würden, nicht zu übernehmen.»
Ratsam ist es auf jeden Fall, seinen Willen in einer Patientenverfügung festzuhalten. Wenn ich selber nicht mehr ansprechbar und/oder urteilsfähig bin, haben Angehörige, Ärzte und Pflegende Anhaltspunkte, welche Art von Behandlungen ich wünsche und welche ich ablehne. Doch nicht immer ist das, was ich vor Jahren in die Patientenverfügung geschrieben habe, wirklich praktizierbar.
Es könnte sein, dass ich zum Bespiel aufgrund psychischer Begleiterscheinungen einer Demenz auf meine Mitmenschen losgehe. Wenn ich aber in meine Patientenverfügung geschrieben habe, dass ich keine Psychopharmaka einnehmen möchte, stelle ich meine Angehörigen und Pflegenden vor ein Problem. Der Ethiker Klaus Peter Rippe hat einen Artikel zu diesem ethischen Dilemma geschrieben:
Wichtiger als die Patientenverfügung ist in diesem Zusammenhang eine Vorsorgevollmacht (D, A), respektive ein Vorsorgeauftrag (CH). Darin definiere ich eine oder mehrere Personen, die für mich die Entscheidungen treffen, wenn ich es selbst nicht mehr kann.
Links und Literatur zur Selbstbestimmung bei Demenz
> zum Dossier «Meine Lieben! Wer entscheidet im Namen von Menschen mit Demenz?» im demenzjournal
> Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zum Thema Demenz und Selbstbestimmung
> zur Website der Organisation Promenz, die die Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz unterstützt
> Thomas Klie, Recht auf Demenz – Ein Plädoyer, Hirzel, 2021
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