Freitod
Nach der Diagnose Demenz denken manche Betroffene an Selbstmord. Ein begleiteter Suizid mit einer Sterbehilfe-Organisation ist nur so lange möglich, wie die betroffene Person urteilsfähig ist.
Als Freitod oder Suizid, lateinisch für Selbsttötung, wird die vorsätzliche Beendigung des eigenen Lebens bezeichnet. Seit Januar 2011 ist das Recht auf Selbsttötung in Europa als Menschenrecht anerkannt. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO nehmen sich jährlich weltweit rund 800’000 Menschen das Leben, die höchsten Suizidraten verzeichnet Russland, die niedrigsten einige karibische Inselstaaten.
Deutschland, Österreich und die Schweiz liegen im weltweiten Vergleich der Suizidraten im Mittelfeld. Österreich verzeichnet jährlich durchschnittlich 15,6 Suizide je 100’000 Einwohner, Deutschland 13,6 und die Schweiz 10,2.
In absoluten Zahlen nehmen sich in Deutschland pro Jahr etwa 10’000 Menschen das Leben, in Österreich etwa 2000 und in der Schweiz etwas über 1000. Im deutschsprachigen Raum ist die Zahl der Selbsttötungen seit Jahren rückläufig, allerdings nimmt sie wie in fast allen Ländern bei älteren Menschen, insbesondere bei Männern, zu.
Die Suizidforschung geht davon aus, dass psychische Erkrankungen mit 90 Prozent die häufigste Ursache für eine Selbsttötung sind. Vor allem bei Depressionen und manisch-depressiven Erkrankungen kommen Suizide gehäuft vor.
Daneben führen oft auch Suchterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, chronische Schmerzen und unheilbare Krankheiten zum Freitod. Demenzielle Erkrankungen gehören aber nicht zu den häufigeren Ursachen für Suizid, die Rate ist hier so hoch wie beim Bevölkerungsdurchschnitt.
Rechtliche Situation der Sterbehilfe
Wird der Suizid mit Unterstützung anderer Personen vollzogen, handelt es sich um eine assistierte Selbsttötung, in der Rechtssprache Tötung auf Verlangen oder Beihilfe zum Suizid genannt. Von aktiver Sterbehilfe spricht man, wenn Tötung auf Verlangen von einer anderen Person ausgeführt wird.
Dies ist europaweit nur in Belgien und den Niederlanden legal. Die assistierte Selbsttötung, bei der das todbringende Gift oder Medikament von der sterbewilligen Person selbst eingenommen wird, ist in den deutschsprachigen Ländern gesetzlich unterschiedlich geregelt.
- In Österreich war Beihilfe zum Suizid eine Straftat, bis der Verfassungsgerichtshof Ende 2020 das Verbot aufhob, weil es das Recht auf Selbstbestimmung einschränke. Genauere rechtliche Regelungen stehen aber noch aus.
- Vergleichbar ist die rechtliche Situation in Deutschland, wo das Bundesverfassungsgericht bereits im Februar 2020 das Verbot der assistierten Selbsttötung aufhob. In beiden Ländern werden die Urteile kontrovers diskutiert. Eines der Hauptargumente dagegen ist die Befürchtung, dass die Option eines assistierten Suizids alte und kranke Menschen unter Druck setzen würde.
- In der Schweiz ist Beihilfe zur Selbsttötung generell erlaubt, bestraft werden lediglich Personen, die andere aus selbstsüchtigen Gründen zum Suizid verleiten oder ihnen Hilfe dabei leisten. Schweizerische Organisationen wie «Exit» oder «Dignitas» bieten ihren Mitgliedern seit Jahren Sterbehilfe an, und auch viele Menschen aus dem Ausland nehmen die Dienste in Anspruch. Jährlich entscheiden sich rund tausend Menschen in der Schweiz für assistierten Suizid.
Nicht strafbar ist die passive Sterbehilfe, bei der auf lebensverlängernde Massnahmen verzichtet wird, wenn der Patient dies wünscht oder mit einer Patientenverfügung bestimmt hat.
➔ Hier geht’s zum Wikipedia-Eintrag über Suizid
Freitod und Demenz
Fast alle Suizide in Zusammenhang mit einer Demenz finden in einem frühen Stadium der Krankheit statt, oft kurz nach der Diagnose. Suizidgedanken oder -handlungen geschehen zu diesem Zeitpunkt oft unter dem Einfluss einer Depression, einer verzerrten Wahrnehmung des Krankheitsbilds oder dem Wunsch, niemandem zur Last zu fallen.
Mitunter nehmen sich Menschen mit Demenz im Frühstadium auch das Leben, weil die noch vorhandene Urteilsfähigkeit strikte Voraussetzung für den assistierten Suizid durch Sterbehilfe-Organisationen ist. Damit verkürzen sie ihr Leben womöglich unnötig, denn ihre Lebensqualität kann mit der richtigen Begleitung meistens auch in fortgeschrittenen Krankheitsverläufen erhalten bleiben.
➔ Hier geht es zu einem Positionspapier von Alzheimer Schweiz zu einem Fall in den Niederlanden
Auch wenn Suizidwünsche nicht zum typischen Bild einer Demenzerkrankung gehören, sollten Betreuende und Angehörige in dieser Hinsicht aufmerksam sein. Besonders gilt das bezüglich der Symptome einer Depression, etwa ständige Niedergeschlagenheit, Antriebsminderung oder Appetitlosigkeit. Sind solche Anzeichen erkennbar, ist es wichtig, einen Arzt hinzuzuziehen, denn Depressionen sind auch bei Demenzkranken gut zu behandeln.
Andererseits sollte die Aufmerksamkeit auch auf belastende Lebensumstände der Betroffenen gerichtet werden, zum Beispiel Konflikte in der Partnerschaft, Vereinsamung oder übersteigerte Ängste. Mit psychologischer, sozialer und medizinischer Begleitung kann es dann oft gelingen, den Betroffenen wieder neuen Lebensmut zu geben und einen Suizid abzuwenden.
Dennoch gilt, dass Menschen mit Demenz, die noch urteilsfähig sind und nicht unter behebbaren Notlagen leiden, die Freiheit haben, ihr Leben zu beenden. Die Gewissheit, dies autonom entscheiden zu können, ist für die Betroffenen oft so beruhigend, dass sie den Zeitpunkt für die eigentliche Handlung hinausschieben.
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